2. Sohn des Königs Heinrich
VII. von England und der Elisabeth
von York, Tochter von König Eduard
IV.
Lexikon der Renaissance: Seite 328
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Heinrich VIII., seit 1509 König von England, seit
1541 von Irland
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* 28.6.1491, + 28.1.1547
Greenwich Westminster
Sohn von Heinrich VII., Haus TUDOR
Typus des Renaissancefürsten
Er verband autokratische Herrschaftsmethoden mit zeitweiliger
Förderung des Humanismus. In den ersten beiden Jahrzehnten seiner
Herrschaft akzeptierte Heinrich VIII. unter
dem Einfluß von Lordkantler Thomas Wolsey die Position des Papsttums
und erhielt wegen seiner Polemik gegen Martin Luther ("Assertio septem
sacramentorum adversus Martinum Lutherum", 1521; Verteidigung der sieben
Sakramente gegen Martin Luther) den Ehrentitel Defensor fidei (Verteidiger
des Glaubens). Mehrere Kriege gegen Frankreich (1511/15,1521/25,1543/46)
schwächten die Ressourcen Englands und führten zur Münzverschlecherung.
Seit Anfang der 30-er Jahre gewann Heinrich VIII.
mit Billigung des Parlaments schrittweise die Herrschaft über die
Kirche von England. 1533 löste er gegen den Willen des Papstes seine
Ehe mit Katharina von Aragon (weitere
Ehen mit Anna Boleyn, Jane
Seymour, Anna von Kleve,
Katharina Howard, Katharina
Parr). Mit der Suprematsakte 1534 erkannte das Parlament Heinrich
VIII. als 'Oberhaupt der Kirche von England' an und vollzog
damit die Trennung von Rom. Die Untertanen mußten ihre Loyalität
beeiden. Eidverweigerer wurden hingerichtet (unter anderen Thomas Morus).
Die von Heinrichs VIII. Minister Thomas
Cromwell inspirierte und organisierte Auflösung der Klöster (1536/40)
sanierte vorübergehend die Staatsfinanzen und festigte die Loyalität
der zumeist zur Gentry gehörenden neuen Besitzer säkularisierter
Klosterländereien. 1538 exkommunizierte Papst Paul III. Heinrich VIII.
und verhängte den Kirchenbann über England. Seit 1539 bremste
Heinrich VIII. die Reformation und
ließ Protestanten als Ketzer verfolgen. Heinrichs
Gesetze gegen Einhegungen blieben wirkungslos; Vagabundage bekämpfte
er durch Blutgesetze. Heinrich VIII.
setzte die englische Expansion auf den Britischen Inseln fort (1513,1542
Feldzüge gegen Schottland, 1536 Statut von Wales, verstärkte
englische Siedlung in Irland). Die Kirchenpolitik, die höhere Effektivität
der Regierungsinstitutionen und Gerichte und die Vergrößerung
der Flotte unter der Herrschaft Heinrichs VIII.
festigten den TUDOR-Absolutismus.
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Heinrich VIII.
war im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Arthur
eine kraftvolle, gesunde und würdevolle Erscheinung. Er hatte über
seine schöne Mutter viel von seinem königlichen Großvater
Eduard
IV. geerbt. Er war gebildet, weltmännisch, begabt, aber
auch hemmungsloser Hedonist und Galan; musisch veranlagt, ein guter Schütze,
Reiter und Tennisspieler. Er war gut auf sein Königtum vorbereitet
und folgte dem Vater in gesicherter Position. Er war hochgebildet, ursprünglich
stattlich, sportlich und ein sehr guter Tänzer; später durch
hemmungslose Völlerei ein unästhetischer, unbeweglicher Feistling,
auch zunehmend launisch und jähzornig. Oft zog er sich zurück
und ließ alles schleifen.
Heinrich
war der Gönner von Erasmus von Rotterdam, der jahrelang in London
lebte. 1511 schloß er sich der Heiligen Liga an und nahm an der Schlacht
bei Guinegate teil. Am 9. September 1513 besiegte er die einfallenden Schotten
in der Schlacht bei Flodden, in der Jakob IV.
fiel.
Er plünderte die Bretagne, besetzte Tournai und erstrebte 1519 wie
KARL
I. von Spanien und Franz I. von Frankreich
die Kaiserkrone. 1521 bekam er den päpstlichen Ehrentitel "Defensor
fidei" für eine Streitschrift gegen Martin Luther. 1520 fand
ein berühmtes Treffen mit Franz I.
statt, dem er 1527 Tournai zurückgab. Heinrich
stützte sich besonders auf Berater niedriger Herkunft, wie Thomas
Wolsey (Fleischersohn), der Erzbischof von York, Kardinal und Lordkanzler
wurde und Heinrich bis zuletzt bei
der katholischen Kirche zu halten versuchte. 1529-1532 war Thomas More
Lordkanzler, der berühmte Moralist und Utopist, der die Suprematsakte
ablehnte und daher 1535 hingerichtet wurde. 1533 wurde Thomas Cromwell
Erzbischof von Canterbury. Er annullierte Heinrichs
Ehen, wurde Hauptinitiator der englischen Reformation, Schöpfer des
"Common Prayer Book" von 1549 und der 42 Artikel der anglikanischen Kirche.
1534-1540 dominierte Thomas Cromwell, Kaufmannssohn, als königlicher
Generalvikar. Er war entschiedener Verfechter der englischen Reformation
und der Säkularisation und wurde deshalb "Hammer der Mönche"
genannt. Er ließ fast alle Klöster einziehen und machte die
englische Kirche zur Staatskirche. 1534 erließ er die Suprematsakte,
durch die der König Oberhaupt der anglikanischen Hochkirche wurde.
Es fiel nicht schwer, im Land und im Parlament eine starke antipäpstliche
Stimmung zu erzeugen, da die Abgaben nach Rom fünf Mal höher
als die an den Staat waren, der englische Klerus ganz ungebildet und verweltlicht
war, die Klöster raffgierige Großgrundbesitzer und Blutsauger
waren. Cromwell stürzte 1540 und wurde hingerichtet, da er zu stark
zur radikalen Reformation neigte und Heinrichs
unglückliche
Ehe mit Anna von Kleve arrangierte.
Die meisten Klostergüter verkaufte Heinrich
an Privatleute und Gentry, womit eine neue und einflußreiche Schicht
von Großgrundbesitzern geschaffen wurde, die sehr zur Stärkung
der Position des Parlaments beitrug. 1529-1539 fanden viele Reformationsparlamente
statt, die letztlich zur typischen englischen Hochkirche führten:
1534 "Suprematsakte" (Loslösung vom Papst), 1539 Statut der sechs
Artikel, in der Lehre bischöflicher Verfassung, Erscheinungsbild und
Gottesdienstordnung und Liturgie blieb sie weitgehend katholisch, aber
der König war ihr Oberhaupt. Diese Zugeständnisse kamen erst
nach etlichen religiösen Aufständen zustande. Er unterwarf 1541
Irland und nahm den Titel König von Irland an, allerdings scheiterten
alle Versuche jetzt und in Zukunft, die Reformation in Irland durchzusetzen.
1542 errang er bei Solway Moos erneut einen großen Sieg über
Schottland, denen Kriege gegen Frankreich folgten (1543-46). Beide Könige
verzichteten auf jeweilige Thronansprüche und Heinrich
behauptete
Calais und Guines. Das politische und wirtschaftliche Klima wurde zuletzt
recht bedrückend, das einfache Volk bewahrte ihm trotzdem große
Anhänglichkeit.
Heinrich VIII. litt
wahrscheinlich an Syphilis, die er sich als 13- oder 14-jähriger
zugezogen hatte. Es war offensichtlich, dass während der Zeit seiner
Ehe mit Anna Boleyn die ersten Erscheinungen
eines schrecklichen physischen Verfalls beim König einsetzten, die
man allgemein Anna zur Last legte.
3.6.1509
1. oo 2. Katharina von Aragon, Tochter des Königs
Ferdinands II.
15.12.1485-7.1.1536
25.1.1533
2. oo Anna Boleyn, Tochter des Grafen Thomas von
Wiltshire
1507-19.5.1536
30.5.1536
3. oo Johanna Seymour, Tochter des Sir Johann
III.
1509-23.10.1537
6.1.1540
4. oo Anna von Kleve, Tochter des Herzogs Johann
III.
x 22.9.1515-16.7.1557
8.8.1540
5. oo Katharina Howard, Tochter des Lord Edmund
x 1520-13.2.1542
12.7.1543
6. oo 3. Katharina Parr, Tochter des Sir Thomas
zu Kendal
x
1511-7.9.1548
Kinder:
1. Ehe
Maria I.
18.2.1516-17.11.1558
2. Ehe
Elisabeth I.
7.9.1533-24.3.1603
3. Ehe
Eduard VI.
12.10.1537-6.7.1553
Illegitm von Elisabeth Blount
Heinrich Herzog von Richmond
Sommer 1519-22.7.1536
Literatur:
-----------
Baker Timothy: Die Plantagenet in Die großen
Dynastien, Karl Müller Verlag 1996 Seite 43-64 - Baumann Uwe:
Heinrich VIII. mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt Taschenbuch
Verlag GmbH 1991 - Bäumler Ernst: Amors vergifteter Pfeil.
Kulturgeschichte einer verschwiegenen Krankheit, R. Piper GnbH & Co.
KG, München 1989 Seite 70-75,77 - Brouwer Johan: Johanna die
Wahnsinnige. Glanz und Elend einer spanischen Königin. Eugen Diederichs
Verlag München 1995 Seite 12 - Erbe Michael: Heinrich VIII. (1509-1547)
in Peter Wende: Englische Könige und Königinnen Seite 30-46 -
Ferdinandy Michael de: Philipp II. Bechtermünz Verlag Augsburg
1996 Seite 28,180,186,363 - Fraser Antonia: Die sechs Frauen Heinrichs
VIII. Claasen Verlag GmbH Hildesheim 1995 - Giardini Cesare: Don
Carlos. Infant von Spanien. Eugen Diederichs Verlag München 1994 Seite
6,14,33,68,100 - Horst, Eberhard: Die spanische Trilogie Isabella-Johanna-Teresa
Claasen Verlag GmbH Düsseldorf, 1989 Seite 153,177,215,249 - Jurewitz-Freischmidt
Sylvia: Die Herrinnen der Loire-Schlösser. Königinnen und Mätressen
um den Lilienthron. Casimir Katz Verlag, Gernsbach 1996 Seite 154,173-176,184,192,201,223,226,250
- Kendall Paul Murray: Richard III. König von England Mythos
und Wirklichkeit, Eugen Diederichs Verlag München 1995 Seite 239,266,423,427
- Lavater-Sloman Mary: Elisabeth I. Herrin der Meere, Gustav Lübbe
Verlag GmbH Bergisch Gladbach 1988 - Neale John E. Elisabeth I.
Königin von England. Eugen Diederischs Verlag München 1994 Seite
9-18, 20,22,25,26,27,30,37,38,40,48,53,62,72,124,146,273/74,276,278, 320,321,330,397,453,455,456
- Schelle, Klaus: Karl der Kühne. Burgund zwischen Lilienbanner
und Reichsadler. Magnus Verlag Essen Seite 194 - Schnith Karl: Frauen
des Mittelalters in Lebensbildern. Verlag Styria Graz Wien Köln 1997
Seite 449 - Schreiber Hermann: Die Stuarts. Genie und Unstern einer
königlichen Familie. Bechtermünz Verlag GmbH Eltville am Rhein
1995 Seite 15,23,26,44,125 - Taillander Saint-Rene Madeleine Marie
Louise: Heinrich IV. Der Hugenotte auf Frankreichs Thron. Eugen Diederichs
Verlag München 1995 Seite 28,310,408 - Tamussino Ursula: Margarete
von Österreich. Diplomatin der Renaissance Verlag Styria Graz Wien
Köln 1995 Seite 117,157-165,180,200,207,213,216,227, 230,239,243,247,253,258,
260,267,287 - Tamussino Ursula: Maria von Ungarn. Ein Leben im Dienst
der Casa de Austria Verlag Styria Graz Wien Köln 1998 Seite 37,51,55,95,101,139,141,159,164,167,204,208,230,240,257
- Vercors: Anna Boleyn. 40 entscheidende Monate in Englands Geschichte
Weltbild Verlag GmbH Augsburg 1995 - Treffer Gerd: Franz I. von
Frankreich Herrscher und Mäzen Verlag Friedrich Pustet Regensburg
1993 Seite 17-317 -
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Baker Timothy: Seite 43-64
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"Die Plantagenet"
Prinz Heinrich war
im Schatten
Arthurs aufgewachsen, besaß
aber dennoch ebenfalls eine rasche Auffassungsgabe. Obwohl Erasmus von
Rotterdam Zweifel an seiner Begabung anmeldete, war er als Erwachsener
doch in der Lage, sich fließend in Latein und Französisch auszudrücken
und konnte etwas Italienisch und vielleicht sogar Spanisch. Noch lange
nach Beendigung seiner Ausbildungszeit zeigte er Interesse an der wieder
modernen griechischen Sprache und ließ sich sogar darin unterrichten.
Er war begierig, mehr über theologische Probleme zu erfahren und zeigte
eine Vorliebe für Mathematik und Astronomie. Zudem war er noch ein
begabter und begeisterter Musiker, Tänzer und Komponist, dessen Werke
zum Teil heute noch aufgeführt und gern gehört werden.
Er glänzte auch als Sportsmann, sowohl in den vom
Hof inszenierten Kriegsspielen, als auch in den aristokratischen Fertigkeiten
des Reitens, Jagens und der Falknerei. Außerdem war er ein noch leidenschaftlicherer
Karten- und Tennisspieler als sein Vater, wobei es bei ihm um noch höhere
Einsätze ging. Als stark und gut gebauter, freundlicher Mann verkörperte
er den von Castiglione beschriebenen Höfling der Renaissance. Bei
seiner Thronbesteigung im Jahre 1509 war er nicht besser vorbereitet als
es sein Vater 24 Jahre zuvor gewesen war: Nach dem Tode Arthurs
hatte er nicht die gleiche Schulung durchgemacht, sondern durfte sich dem
am Hof üblichen Zeitvertreib hingeben. Er sollte die Jagd nach Vergnügungen
niemals aufgeben.
Die Thronbesteigung Heinrichs
VIII. (1509-1547) war unbestritten. Die Ratgeber seines Vaters
blieben fast ausnahmslos weiter im Amt, um nun im Namen des neuen Königs
zu regieren. Das Schicksal der beiden Männer, die er aus dem königlichen
Rat entfernte, war das erste Anzeichen für die Undankbarkeit, die
er seinen Mitmenschen gegenüber offenbaren sollte. Richard Empson
und Edmund Dudley, die als Vollstrecker der Steuerpolitik des Vaters wenig
Popularität besaßen wurden geopfert, weil er sich dadurch zusätzliche
Anerkennung versprach: Sie hatten ihre Dienste lange genug geleistet, und
ihr neuer Herrscher hatte keine Verwendung mehr für sie. Das gleiche
Los sollte 1529 Kardinal Wolsey und 1540 Thomas Cromwell ereilen; wenn
nicht des Königs eigener Tod dazwischen gekommen wäre, hätte
im Jahre 1547 auch der Herzog von Norfolk daran glauben müssen. Die
Regierungsgeschäfte wurden anderen anvertraut, und bis 1540 überließ
er sie völlig einem einzigen Minister, zuerst Wolsey und später
Cromwell. Dieses Schema hätte er wahrscheinlich auch nach ihnen noch
beibehalten, wenn er nochmals eine so hervorragende Persönlichkeit,
die sich vom König nicht einschüchtern ließ, gefunden hätte;
aber seine damaligen Ratgeber waren entweder mit ihm alt geworden oder
waren seine Söhne. Er war kaum davon zu überzeugen, für
die tägliche Verwaltungsarbeit Interesse aufzubringen, und es geschah
deshalb nicht selten, dass Staatspapiere tagelang ohne Unterschrift blieben.
In den Jahren nach 1540 wurde es so schwierig, seine Unterschrift zu bekommen,
dass ein Stempel als Ersatz angeschafft wurde. Gelegentlich widmete er
bestimmten Problemen seine ganze Aufmerksamkeit, seine Begeisterung aber
ließ dann doch sehr schnell wieder nach. Was Temparament und Aussehen
anbelangt, ähnelte er eher seinem Großvater mütterlicherseits,
Eduard
IV., als seinem Vater. Heinrich VIII.
war von Natur aus träge und unzuverlässig und nur selten gewissenhaft,
flößte aber trotz seines mangelhaften Wesens Respekt ein, und
seine Untertanen bewahrten ihm ein rührendes Andenken.
Sein Vater hatte England zwar Frieden beschert. Da er
aber unerschütterlich daran festhielt, Krieg zu vermeiden, war das
Land ohne Ruhm geblieben.
Heinrich VIII.
wollte dieses Versäumnis wiedergutmachen und durch die Demonstration
militärischer Tüchtigkeit hervorheben, dass er seinem friedfertigen
Vater überlegen war. Der Wiedereintritt Englands in die Auseinandersetzung
auf dem Festland diente dieser Absicht. Nachdem dieser Schritt einmal unternommen
war, konnte er sein Reich nicht mehr aus den internationalen Verstrickungen
heraus halten, so dass sich seine Kassen aufgrund häufiger Kriege
immer mehr leerten. Sein Eindringen in Schottland hatte zur Folge, dass
seine Untertanen stark belastet wurden, was sich für seine Nachfolger
als schicksalsschweres Erbe erwies. Die enormen Ausgaben und spärlichen
Erfolge seiner frühen militärischen Unternehmungen hielten ihn
nicht davon ab, sich 1519 der Wahl zum Kaiser des Heiligen Römischen
Reiches zu stellen oder persönliche Rivalitäten mit KARL
V., der ihn bei der Kaiserwahl besiegt hatte, und mit Franz
I. von Frankreich auszufechten. Er wollte seine Rivalen übertrumpfen.
Die prunkvolle Ausgestaltung seines Zusammentreffens mit Franz im Jahre
1520 zeigte seine Lebensweise, sowohl er wie auch sein Hof unterwarfen
sich jedem Wechsel in der Mode.
Ende der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts konnte
Heinrich
VIII. nicht länger über einen gravierenden Mangel,
nämlich das Ausbleiben eines männlichen Erben zur Sicherung der
Nachfolge und des Fortbestandes der Dynastie, hinweg täuschen. Im
Jahre 1509 hatte er mit päpstlicher Genehmigung die Witwe seines älteren
Bruders, Katharina von Aragon, geheiratet,
die ungefähr 5 Jahre älter war als er. Obwohl sie ihm mehrere
Kinder schenkte, überlebte nur eine Tochter Maria
die Kindheit; es gab Fehlgeburten und nach 1518 keine weiteren Schwangerschaften
mehr. Für Katharina bedeutete
dies ein Unglück, für Heinrich VIII.
war es eine Katastrophe. Ein Sohn wurde als unerläßlich erachtet;
nach 1525 wurde ersichtlich, dass ihn nur eine neue Ehefrau gebären
konnte. Bevor dies möglich wurde, mußte Heinrichs
VIII. Ehe formal aufgelöst werden, indem Katharina
in einem Kloster verschwand oder die Scheidung durchgeführt wurde.
Obwohl Katharina fromm war, wollte
sie sich keinem Orden anschließen. Eine Scheidung war zwar im 16.
Jahrhundert nicht üblich, aber für einflußreiche Familien
bei Angabe schwerwiegender Gründe möglich; auf diese Weise war
zum Beispiel auch die Großmutter Heinrichs
VIII. von ihrem ersten Ehemann getrennt worden, bevor sie Edmund
Tudor heiratete.
Die Gründe Heinrichs VIII.
wären zweifellos als für eine Scheidung ausreichend anerkannt
worden, wäre er nicht in die inneren Auseinandersetzungen Italiens
hineingezogen worden und hätte er sich nicht von dem Neffen Katharinas,
Kaiser
KARL V., entfremdet, in dessen Lager seit 1527 der Papst stand.
Als alle Petitionen und gutes Zureden keinen Erfolg zeitigten, versuchte
es der König mit Drohungen. Die Unzufriedenheit mit der Kirche in
England erreichte ihren Höhepunkt mit dem Fall des Kardinals Wolsey,
der das Opfer seiner eigenen "vielen Worte ohne Taten" geworden war. Der
König hatte sich schon früher als Gegner der Reformation gezeigt
und hatte für sein Buch gegen den Protestantismus von einem dankbaren
Papst den Titel Defensor Fidei verliehen bekommen. Im Jahre 1529 beliebte
es ihm aber, den offenen Protest seiner Untertanen gegen die Kirche zu
tolerieren, denn er erhoffte sich damit ein Nachgeben seitens des Papstes
und des Kaisers. Ihre weitere Weigerung sollte dazu führen, dass der
Katholizismus und die kirchlichen Orden in England zerschlagen wurden.
Diese Maßnahmen hatte der König noch keineswegs in Erwägung
gezogen, als er das Scheidungsverfahren einleitete. Die Chance, von Anna
Boleyn einen Erben zu erhalten, hatte den König dazu gezwungen;
nach der Annullierung seiner ersten Ehe durch Erzbischof Cranmer heiratete
er Anna. Diese Trotzhandlung verpflichtete
Heinrich
VIII. nicht nur seiner zweiten Königin, sondern auch den
religiösen Hoffnungen vieler Untertanen, so dass unter Leitung von
Thomas Cromwell die so lange ersehnte Veränderung endlich Realität
wurde. Der englische Klerus hatte die Überlegenheit des Königs
mit Vorbehalten bereits anerkannt, Cromwell zwang sie aber noch anzuerkennen,
dass "dieses Königreich England ein Reich ist ..., das von einem Oberhaupt
und König regiert wird". Annas Kind war ein auf den Namen Elisabeth
getauftes
Mädchen, aber die Enttäuschung über ihre Geburt machte deutlich,
dass die alte Ordnung zu Lebzeiten Heinrichs VIII.
nicht wiederhergestelllt werden würde, ihr Fortbestehen aber verhinderte,
dass sich der reformierte Glaube in England durchsetzen konnte.
Die große Liebe Heinrichs
VIII. für Anna, die
ihn zu Anfang sogar dazu angetrieben hatte, ihr fast täglich zu schreiben
- was bei einen so faulen Mann bestimmt eine Leistung war -, ließ
empfindlich nach, als auf Prinzessin Elisabeth
kein Sohn folgte. Eine Fehlgeburt, Indiskretionen und des Königs Liebschaft
mit einer ihrer Hofdamen beendeten ihre dreijährige Vormachtstellung
und brachten sie in den Tower und aufs Schafott. Durch die Tatsache, dass
Katharina einige Monate später eines natürlichen Todes
starb, war der Weg zu einer legalen, dritten Eheschließung des Königs
mit Jane Seymour freigeräumt die
zwar den langersehnten Sohn gebar, aber bei der Entbindung selbst starb.
Die Ankunft von Prinz Eduard versetzte
den inzwischen schon sehr korpulenten König in große Freude
und war Anlaß, eine Wiederverheiratung hinauszuschieben. Da er aber
vermeiden wollte, dass sich die ganzen Hoffnungen seines Königreiches
auf einen einzigen gebrechlichen Knaben konzentrieren sollte, entschloß
er sich zu einer vierten Ehe. Im Jahre 1540 heiratete er die protestantische
Anna
von Kleve, um sein Reformwerk zu festigen. Doch eine beiderseits
vorhandene Antipathie und der Fall Cromwells, der auf diese Verbindung
gedrängt hatte, brachten ihre Trennung herbei. Im gleichen Jahr noch
folgte Catharina Howard, eine junge
Cousine Anna Boleyns, die ebenfalls
wegen unsinniger Indiskretionen das gleiche Schicksal zu erleiden hatte.
1543 heiratete er schließlich die Witwe Katharina
Parr, die bereits zwei Ehemänner überlebt hatte und
nach dem König noch eine vierte Ehe eingehen sollte.
Diese letzten drei Verbindungen blieben alle kinderlos.
Aufgrund dieser Tatsache war Heinrich VIII.
gezwungen, sich immer mehr auf das Gesetz zu stützen, um zu verhindern,
dass bei seinem Tode die Nachfolge angefochten würde. Die Unfähigkeit
des Königs weitere gesunde Kinder zu zeugen - wobei die Ursache, eine
gekränkte Gottheit, Vererbung oder Krankheit ungeklärt bleibt
-, wurde für diejenigen, in denen noch Blut der PLANTAGENET
floß, zum Verhängnis. Königliche Abstammung war gewöhnlich
Grund dafür, stolz zu sein. Heinrich
jedoch sah darin eine drohende Gefahr für seinen und den Thron seiner
Familie. Angeblich verschwörerische Aktivitäten waren Veranlassung
dafür, dass diese entfernten Verwandte als Verräter sterben oder
auch ins Exil fliehen mußten, weder ihre Unbeteiligtheit noch ihr
Alter konnte sie vor blinder Rachsucht des Königs schützen. Andere,
die nicht mit ihm verwandt waren, wie zum Beispiel Sir Thomas More, Bischof
Fisher und die Kartäusermönche starben ebenfalls als Opfer dieser
Raserei, aber nicht etwa, weil ihre Anschauungen dem König verhaßt
waren, sondern weil sie möglicherweise die Thronfolge in Gefahr bringen
konnten. Das Problem zermürbte Heinrich VIII.
und verfolgte ihn stetig. Sein Bestreben, es zu lösen, führte
dazu, dass sein ganzes Reich grundlegend verändert wurde, sollte aber
auf lange Sicht in seinem Hauptziel scheitern.
Heinrich VIII. starb
am 28. Januar 1547 und wurde von seinem Sohn, dem 9-jährigenEduard
VI. abgelöst. Der Tod Heinrichs
wurde
3 Tage lang geheimgehalten, weil unter dem Testament, das Heinrich
einen Monat zuvor abgeändert hatte, höchstwahrscheinlich die
Unterschrift fehlte. Er hatte es mit dem Gedanken abgefertigt, Richtlinien
für die Regierung Englands während der Unmündigkeit seines
Sohnes vorzugeben, vermutlich jedoch hatten sich seine Vorschläge
noch vor seinem Tode als nicht realisierbar erwiesen. Ein Hauptpunkt befaßte
sich mit der Einsetzung des Protektorats unter dem Herzog von Somerset,
der ein Onkel Eduards VI. mütterlicherseits
war: Die mehr konservativen Ratgeber seines Vaters wurden dabei ausgeschlossen,
wodurch die Einrichtung einer protestantischen Kirche in England möglich
wurde. Trotz seiner Exkommunikation und der von ihm bewirkten Veränderungen
war Heinrich VIII. im Grunde seines
Herzens Katholik geblieben; die Entscheidung aber, die er kurz vor seinem
Tode getroffen hatte, sollte den Lauf der Dinge in den folgenden sechs
Jahren zugunsten des Protestantismus bestimmen.
Ridley Jasper:
************
"Heinrich VIII. Eine Biographie."
Gesundheit Heinrichs VIII.
Seit 1528 plagte ihn gelegentlich ein schmerzhaftes
Geschwür am Bein. Am 24. Januar 1536 nahm Heinrich
an einem Turnier in Greenwich teil und wurde während des Kampfes mit
seinem Pferd mit solcher Gewalt zu Boden geworfen, dass die Zuschauer um
das Leben des Königs fürchteten. Sein Sturz vom Pferd im Januar
1536 hatte das Geschwür vermutlich noch schlimmer gemacht, und im
Frühjahr 1537 wurden die Schmerzen chronisch. Im April konnte er ein
paar Tage nicht gehen. Er erholte sich zwar rasch, hatte aber im Mai 1538
einen noch schwereren Anfall, so dass er einige Tage in Lebensgefahr schwebte.
Im September 1539 bekam er in Ampthill hohes Fieber, das vermutlich nichts
mit dem Bein zu tun hatte. Seine Krankheit wurde oft als Syphilis
diagnostiziert, die Anfang des 16. Jahrhunderts in W-Europa weit verbreitet
war. Da die Krankheit vor allem am französischen Hof anzutreffen war,
könnte sich Heinrich bei
Mary Boleyn angesteckt
haben. Bewiesen ist das freilich nicht. Obwohl sein Beinleiden ähnliche
Symptome wie die Syphilis aufwies, spricht vieles gegen diese Annahme.
Sir Arthur Mac Nalty erklärte 1952, es habe sich nicht um Syphilis,
sondern um eine Venenthrombose
gehandelt; die Auflösung des
Blutgerinsels habe eine Lungenembolie
verursacht. Seit 1538 war
Heinrich sehr dick (Taillenumfang 137
cm). 1540 schloß sich sein offenes Bein und verursachte heftiges
Fieber. Im Februar 1541 schwebte er in Lebensgefahr.
Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis
Heinrich nicht mehr laufen und reiten konnte. Aber obwohl er
immer noch auf die Jagd ging, hatten seine Kräfte nachgelassen. Obwohl
er sich jetzt weniger bewegte als in seiner Jugend, aß und trank
er so viel wie eh und je, und als er auf die 50 zuging, nahm er rasch an
Gewicht zu.
Bäumler Ernst: Seite 70-75,77
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"Amors vergifteter Pfeil"
Heinrich VIII., seit
1509 König Englands, war eines der gekrönten Häupter, die
wahrscheinlich an Syphilis litten. Der allmächtige Kardinal
Wolsey wurde nach seinem Sturz unter anderem auch angeklagt, er hätte
den Herrscher infiziert, während er ihm einen seiner verderblichen
Ratschläge ins Ohr flüsterte. Viel wahrscheinlicher dürfte
Heinrich
die Infektion als 13- oder 14-jähriger erworben haben, "dem frühesten
Alter, in dem ein fröhlicher und unternehmender Jungmann der Renaissance
sie wohl aufschnappen konnte", wie der englische Medizinhistoriker S. McLaurin
vermutet. "Das erste Geschwür", so meint Mc Laurin, "unschuldig und
harmlos erscheinend, heilte wahrscheinlich unter dem Einfluß irgendeiner
Quecksilbersalbe sehr rasch ab... und Heinrich
ging
durch sein weiteres Leben, ohne sich dieses geringfügigen Ereignisses
noch zu erinnern."
Noch am Tage des Todes von Anna
Boleyn hatte Cranmer dem König einen Dispens für eine
neuerliche Heirat ausgestellt; einen Tag später verlobte dieser sich
mit der sanften
Johanna (Jane) Seymour.
Sie hatte ohne Zweifel einen günstigen Einfluß auf Heinrich.
Sie erreichte sogar, dass sich der König mit seiner Tochter Maria
versöhnte, die ja nach seiner Heirat mit Anna
Boleyn zum Bastard erklärt worden war. Johanna
schenkte
Heinrich
am 12. Oktober 1537 schließlich auch einen Sohn, den stets kränkelnden,
späteren König Eduard VI.
Sie selbst starb wenige Tage später am Kindbettfieber.
Nach ihrem Tod heiratete Heinrich
noch
dreimal. Die Wahl seiner nächsten Frau war offensichtlich von politischen
Erwägungen bestimmt. Lordkanzler Thomas Cromwell hatte für den
König Anna von Cleve erkoren,
Tochter des Herzogs Johann von Cleve und Schwägerin des protestantischen
Kurfürsten von Sachsen. Heinrich,
der Anna zunächst nur von einem
Bild her kannte, das Holbein der Jüngere für ihn gemalt hatte,
heiratete sie zwar, ließ aber bald darauf die Ehe wieder für
ungültig erklären. Anna sei
zu häßlich gewesen, verkündete er, deshalb habe er die
Ehe auch nie vollzogen. Cromwell wanderte für den Mißgriff aufs
Schafott.
Am Tage der Hinrichtung des Lordkanzklers, am 28. Juli
1540, heiratete
Heinrich die 20-jährige
Katharina
Howard. Doch bald wähnte er sich von ihr getäuscht
und betrogen. Katharina wurde in den
Tower geworfen und schließlich, ebenso wie ihr Vorgängerin
Anna
Boleyn, der Hand des Scharfrichters übergeben.
Heinrichs sechste
Frau wurde am 12. Juli 1543 die zweimalige Witwe Katharina
Parr. Offensichtlich nicht nur eine kultivierte, sondern auch
sehr mutige Person, denn Ehepartnerinnen des Königs führten in
diesen Tagen ein gefährliches Dasein. Katharina
Parr
gelang es nicht nur, selbst am leben zu bleiben, sondern sie konnte auch
mehrere andere Menschen retten, die der von politischem und religiösem
Verfolgungswahn beherrschte König töten lassen wollte.
Nach 37-jähriger Regierung geht es mit dem Mann,
der so viele Menschen in den Tod geschickt hat, im Alter von 55 Jahren
selbst zu Ende. Im 'British Medicial Journal' von 1910 findet sich eine
Beschreibung seines Zustandes während der letzten Tage. "Aus einem
fähigen und athletischen Mann war eine kraftlose Masse geworden. Er
war aufgeblasen im Gesicht und so unförmig, dass er sich kaum durch
eine normale Tür zwängen konnte. Seine Beine waren geschwollen
und mit eiternden Geschwüren bedeckt. Sie verursachten einen beinahe
unerträglichen Geruch. Dass es zu Ende ging und der Tod herannahte,
sahen alle in seiner Umgebung, obwohl er es niemand erlaubt hätte,
diese Tatsache in seiner Gegenwart zu erwähnen. Könige scheinen
es nie gemocht zu haben, dass man sie als gewöhnliche Sterbliche betrachtete,
eine Abneigung, den Dingen ins Auge zu sehen, die sie mit normalen Leuten
teilen."
McLaurin hat durch seine gnadenlosen 'Post-Mortem-Examinationen'
viele seiner Landsleute schockiert. "Es ist ungewöhnlich", sagt er
in einem späteren Buch, "welch öffentliche Aversion gegen die
Annahme besteht, dass Heinrich VIII.
an Syphilis litt und dass viele seiner Handlungen auf diese Krankheit
zurückzuführen sind. Wenn man nach der Zahl der Briefe urteilen
wollte, so könnte man meinen, dieser Mann habe an Masern gelitten."
McLaurin konnte sich die heftige Reaktion nur damit erklären, "dass
erstens viele Leute noch immer an der Vorstellung hängen, dass es
sich bei Syphilis um eine widerliche Krankheit handelt und dass sie es
ablehnen, ihr 'Lieblingsschreckgespenst' durch rationale Begriffe erklärt
zu bekommen."
Übrigens waren es nicht einmal S. McLaurin oder
Ralph H. Major, die als erste die Krankheit und Ehepolitik Heinrichs
VIII. unter dem Gesichtspunkt der syphilitischen Infektion betrachteten.
Das tat lang zuvor schon der schottische Arzt Andrew S. Currie, der 1888
die These vertrat, Heinrich habe an
einer latenten sekundären Syphilis gelitten.
Currie schloß dies einerseits aus den vielen Früh-
und Fehlgeburten
Katharinas von Aragoniens
und Anna Boleyns sowie aus den Krankheitssymptomen
des Herrschers. Andererseits meint auch Currie, dass Heinrichs
Tochter
Maria und deren Halbbruder
Eduard Anzeichen einer angeborenen Lues aufwiesen.
Professor Ludwig Kleinwächter, der Curries Theorien
wenig später diskutierte, konzediert gleichfalls, dass die Leiden
HeinrichsVIII.
als Erscheinungsformen einer sekundären Syphilis gedeutet werden
können. Gegen diese These spricht jedoch nach Kleinwächter jedoch,
dass Heinrichs Tochter Elisabeth
ganz offensichtlich in dieser Richtung nicht vorbelastet war. Dieser Widerspruch
ließe sich nur auflösen unter der Annahme, Elisabeth
stelle
das Resultat eines Seitensprungs Anna Boleyns
dar.
Insgesamt aber überwiegen weitaus die Hinweise auf
eine syphilitische Infektion des englischen Königs. Dazu bemerkte
schon Currie, dass
Heinrichs verhältnismäßig
frühzeitiger Tod in einem medizinisch fortgeschrittenen Zeitalter
sicher durch eine antiluetische Behandlung - Currie erwähnt dabei
die Jodkalitherapie - beträchtlich hätte hinausgeschoben werden
können.
Sicher kann Heinrichs Verhalten
nicht ausschließlich mit der Krankheit und der dadurch bei seinen
Frauen verursachten Unfruchtbarkeit erklärt werden. Selbst McLaurin
räumt ein, dass sich auch für die schrecklichsten Handlungen
Heinrichs noch logische Gründe anführen lassen. Niemand
vermag mit letzter Klarheit entscheiden, welche Überlegungen den kranken
König trieben und welche letztlich den Ausschlag gaben. Ging es
Heinrich wirklich nur um den langersehnten Erben und Thronfolger
und nicht doch auch um die Befriedigung seiner Blaubart-Neigungen, als
er sich eine Frau nach der anderen nahm?